Zur Startseite
 
Inhalt      Register
 
 
< voriges Gedicht           nächstes Gedicht >
 
Aurora
      
 
 Stechern
     
 
 
 
Modernes Deutschtum
 
Ich bin ein deutscher Jüngling mit Zopf, doch ohne Schwert,
Ich bin gar sehr gemütlich, vortrefflich schulgelehrt;
Ich hang der Väter Sitte von ganzem Herzen an,
Ich acht' und lieb' den König und bin ein deutscher Mann!
 
Ich weiß im Männerkreise gar männlichen Bescheid,
Fern bleibt indeß vor Allem mir der Parteien Streit.
Ich spiele Whist und L'hombre, zum Groschen hier das Bête,
Dort á Point ein halber, nach dem es höchstens geht.
 
Ich trink mit ihnen Bowlen, mein Gläschen Grog und Bier,
Von echtem Bairisch, immer so meine Seidel vier;
Zwei, drei Portionen Beefsteak und dann ein kleines Maaß
Von gutem, echtem Kümmel zum Frühstück, sind mir Spaß.
 
Auch schieß ich mit der Büchse ganz trefflich nach dem Ziel,
Doch ist und bleibt das Pulver stets ein gefährlich Spiel!
Die Mutter trug mir weise oft warnend Vorsicht auf,
Tod, meint sie, gähne tückisch der schwarze Flintenlauf.
 
Mit guten Freunden geh' ich zuweilen auf die Jagd,
Nur, hab' ich, treu gestanden, hier niemals Glück gemacht;
Und meinen Schlitten fahr ich bei jeder Schlittenfahrt
Und reit' ein Pferd mit Sporen auf Cavalieren-Art.
 
Doch in dem Kreis der Frauen, da bin ich zart, gewandt,
Die Worte zierlich wählend, vor Allem stets galant;
Viermal beim Tanzenlernen hab' ich den Fuß geübt
Und mache meinen Diener, wie es die Mode liebt.
 
Ich spiele alle Spielchen; das »deutsche Gänsespiel,«
Den »Hofrat,« »Fürst von Thoren,« das muntre »Bockchen schiel',«
Citiren, Deklamiren kann ich manch' schönes Lied,
Ich sing' es zur Guitarre mit Ausdruck und Gemüt.
 
Die ganze Blumensprache kann ich auswendig, und
Ich band manch' süßes Sträußchen nach ihrer Deutung bunt!
Ein sanftes Händedrücken in Chaine und Polkatanz
Gewann mir Locken, Bänder, oft Blumenstrauß und Kranz.
 
Ich ehre auch die Frauen, wie jeder deutsche Mann,
Lieb' herzlich meine Basen und heimlich dann und wann
Hab' ich mit süßem Sehnen manch Mädchen angeschaut,
Nie mehr jedoch als Blicke und Handdruck mir getraut.
 
Einmal, vom Wein begeistert, hab' ich in stiller Nacht,
Am Fenster meiner Schönen, ein Ständchen dargebracht,
Doch trug es üble Folgen; denn Tags darauf verwies
Mir unser Herr Direktor den »Unfug,« wie er's hieß.
 
Doch das ist ja vorüber! die Jugend hat ihr Recht,
Man hat geliebt, getändelt und das war knabenecht;
Jetzt, da man Mann geworden, denkt man an Amt und Brod,
Denn das ist doch vor Allem zum Glück des Lebens Not.
 
Dann schreitet man zur Ehe, wie es dem Mann gebührt,
Nimmt eine tücht'ge Hausfrau, mit Geld und Gut geziert,
Die zärtlich uns im Alter zu pflegen ist bemüht
Und in der »Furcht des Herren« uns brave Kinder zieht.