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Aurora
      
 
 Stechern
     
 
 
 
Die Erlösung
 
Am Himmel steht ein blaues Weltgericht!
Der Geist des Lebens wogt in seinen Wellen,
Die ew'ge Wahrheit strömt aus tausend Quellen,
Auf schaut die Menge, doch sie sieht es nicht.
 
Am Himmel steht der glühende Altar
Der Gottheit, aufgebaut aus tausend Sternen;
Wir schauen fragend in die blauen Fernen -
O Menschenaug! wie wenig nimmst du wahr!
 
Schau hin dort wo der Freiheits-Himmel tagt!
Siehst du nicht seine Zeichen flammend weben
Im Sonnenlicht? Den Sternenreihn daneben,
Der dir die Ewigkeit der Liebe sagt? -
 
Dort lebt ein Geist - dort schwebt der Geist der Welt
Zieh' ihn nicht klein herab zu deinen Füßen,
Du willst ein »ewig Strafen,« »ewig Büßen«
Wo ew'ge Liebe nur Erbarmen hält.
 
Du hast den Gott dem Wurme gleichgestellt,
Dem Erd'-Geschöpf mit Leidenschaft und Schwäche;
Du wähnst er dräue, zürne, strafe, räche,
Du hast ihn klein den Kleinen beigesellt.
 
Auf, schau hinein in's flammend' Morgenrot,
Schau wie ihn Myriaden Blüten künden!
Du wirst den Gott der Liebe darin finden,
Und in dem Sternenhimmel sein Gebot.
 
Verblendet, irrend, liegst du auf den Knieen,
Du arme Menschheit! ringst dir wund die Hände
Und flehst Erlösung, auf denn! selbststark ende,
Durchbrich die Nacht, und die Phantome fliehn.
 
Man hält dich fest, man fesselt deinen Geist;
O sieh empor und schmiege mit Vertrauen
Dich an des Lebens Brust! Die Felsen tauen,
Der Nebel sinkt, der deinen Blick umkreist.
 
Erkenn' den Gott, er taget auch in dir.
Er ist kein Rächer der dich zürnend schreckte,
Wenn deine Hand sich nach der Blüte streckte,
Sie ist für Alle, wie die Sonne, hier.
 
Du wähne nicht, daß das »Entsagen« reift,
Die finstre Demut ist ein falscher Glaube -
Sieh, mit dem Ölzweig schwebt heran die Taube,
Daß sie die Haft des Geistes von dir streift.
 
Sie kündet dir den neuen Frühling an!
Die grüne Erde steigt schon aus dem Meere
Mit einem zahllos reichen Blütenheere,
So laß den Kerker, laß den Irrtum dann.
 
Das Leben ist fürwahr ein süßes Gut,
Und fordert zum »Genießen« freud'gem Regen;
Daß wir es treu bewahren, liebend hegen
In einer Brust voll frischem Lebensmut.
 
Nicht dürfen zitternd wir ihm ferne stehn,
Verbot nur lauschend überall; und bangen
Das »Menschenrecht« sei sündiges Verlangen,
Nicht »Sündige« in allen Menschen sehn.
 
Mensch zweifle nicht, das Weltall ist der Geist
Des Lebens, der in jeder Knospe sprießet!
Gott ist es all', was rings dein Auge grüßet,
Und es entweihen einzig Sünde heißt.
 
Entweihen? - ist des Rechtes Mißbrauch nur;
Ist Willkür, ist Gewalt in wildem Streben,
Ist des Genußes Übermaaß! das Leben
Entweihet nimmer sonst die Gottnatur.
 
Nun aber sieh, wie weit dein Glaube tagt.
Er friedigt nimmer in dem Menschenherzen!
Erlösung fleht die Menschheit, zuckt in Schmerzen,
Und Trän' um Träne zu dem Himmel klagt.
 
Vor deinen Blick roll ich der Menschheit Bild.
Da lieget sie auf ihren wunden Knieen,
Gebeugt von Lebenslast, von Lebensmühen,
Die Brust, die bebende, so ungestillt.
 
Dort steht ein Mann; in harter, schwiel'ger Hand
Hält er die Hacke, seines Lebens Zeichen,
Schweiß deckt die Stirn, all' Müh'n kann nicht erreichen
Für sein Bestehn ein sich'res Unterpfand.
 
Wol hat er Weib und Kind, doch keinen Heerd, -
Rings um sich sieht er schwelgen und genießen,
Sieht in Pallästen gehn und üppig müssen -
Behaglich wird Entsagung dort gelehrt.
 
Er fleht empor! es kann nicht also sein,
Daß Gott der Menschheit Hälfte übertragen:
Zu wirken und zu sterben, zu ensagen
Dem eignen Glück, dem And'rer sich zu weih'n.
 
Es spricht sein Herz, daß wol auch ihm gebühr'
Ein Teil von all den Gütern dieses Lebens,
Sein bill'ger Lohn. Erlöser, blickt vergebens
Sein schmerzumzucktes Auge hin zu dir? -
 
Dort am Altare kniet ein Weib ohn' Schuld,
Sie hält ein Kind, es weint und klagt in Schmerzen
Und fleht um Brod - sie hält es stumm am Herzen;
Ein Priester kommt, statt Hülf' lehrt er - Geduld. -
 
Da zuckt ihr Mund: »So ist der Gott nicht wahr,
Der also zuläßt ungerechtes Walten!«
Sie sieht ihr Kind an ihrer Brust erkalten
Und flucht der Stunde, die sie einst gebar.
 
Doch horch, ein Kettenrasseln trifft ihr Ohr,
Sie schreckt empor, es stellt vor ihren Blicken
Ein Kerker dar sich, wild zum Himmel schicken
Hört sie halb Fluch, halb Beten wilden Chor.
 
Ein Ächzen schneidet durch die blaue Luft,
Bleich jammernde, verzweifelnde Gestalten,
An Ketten, gleich dem wilden Tier, gehalten,
Verscharrt lebendig hier in feuchter Gruft.
 
Seht welch ein Bild! Die Sonne hüllt sich ein
Und trauert selbst ob dieser Schmerzensrufe;
Ein bleicher Mann lehnt auf die Kerkerstufe
Ein müdes Haupt' auf feuchten Mauerstein.
 
Nein, nicht die Zeit, nicht seiner Jahre Zahl
Hat es ergraut und hat es schon entblößet!
Dem Tiger hätt' er Mitleid eingeflößet,
Der »Gottheit Ebenbild« schaut kalt die Qual.
 
»O, ruft er aus, - »wo lebt er denn der Gott?
Und wofür büß' ich? daß ich selbst mir reichte
Die Hülf', zu der mein Flehn kein Herz erweichte?
Bist wirklich du - Gerechtigkeit, o Gott!«
 
Und an die Wände seines Kerkers schlägt
Der Jammerton! Ihr Alle könnt ihn hören,
Doch ihr bleibt stumm, ihr mögt dem Leid nicht wehren,
Ihr laßt's geschehn, ja - habt es groß gepflegt.
 
O sä't Erbarmen, daß ihr's erntet auch!
Ich ruf Euch zu: Laßt Beten und laßt Singen,
Dem Menschen hilf, o Mensch, vor allen Dingen,
Blut erntet Blut! so ist der Schöpfung Brauch.
 
Schau her, dies ist noch nicht dein ganzer Glanz:
Siehst du den Sohn des Südens dort, den braunen,
Ein Mensch wie wir, der Willkür roher Launen
Verkaufter Sklav, dies ist dein Perlenkranz.
 
Dein Diadem, du milde Christenheit,
Du Pred'gerin von Liebe und Erbarmen;
Um Recht und Leben trügst du diesen Armen,
Doch ruft zu Gott ein stumm Gebet sein Leid.
 
Es klagt dich an, es ruft »Erlösung« laut,
Erschütternd tönt es durch des Lebens Fernen,
Hinflieht's zum Himmel, der gekränzt von Sternen,
Des Lebens Segen Allen niedertaut.
 
O Menschheit, höre, was in dir sich regt,
Vollbringe das Erlösungswerk, das große,
Steig sternhell endlich aus dem Grabesschooße,
In dem der Wahn, der Irrtum, dich gelegt.
 
Es tagt in dir ein Gott, verleugn' ihn nicht!
Drück' an die Brust die Brüder voll Vertrauen,
Das Leben auch; und sieh wie aus dem blauen
Gluthimmel tagend die Erlösung bricht!