Zur Startseite
 
Inhalt      Register
 
 
< voriges Gedicht           nächstes Gedicht >
 
Karoline
(1754-
 
 Rudolphi
1811)
 
 
 
Der Maulwurf
 
Zur hellen Mittagsstunde wagt
Ein Maulwurf sich aus seinen dunkeln Höhlen
Ans Tageslicht herauf, und sagt:
Ich hörte ja so vielerley erzählen
Vom Licht und seinem schönen Glanz,
Von Blumen und von bunten Farben,
Von Büschen, Bäumen, Weitzengarben;
Ich traue dem doch nicht so ganz.
Der Hamster sagt, er hab' es selbst gesehn;
Doch soll er mich nicht hintergehn:
Von weitem her hat man gut lügen.
Mich soll man nicht so leicht betrügen,
Ich will mit eignen Augen sehn. - - -
Er watschelt fort, der Untersucher, schaut
Mit eignen Augen; doch - vertraut
Nicht mit der schönen Tageshelle,
Erkennen sie vom Boden kaum die Stelle,
Die er mit seinem Körper deckt,
Das andre bleibet ihm verborgen und versteckt.
Er kehrt in seine Finsterniß zurück
Und wünscht sich und den Seinen Glück,
Daß er die Wahrheit endlich nun entdeckt.
»Ich dacht' es längst, noch eh' ich dieses Mittel wählte;
Ein Mährchen ist es, was man mir erzählte.« -
 
Wozu soll aber diese Fabel taugen?
Das, lieben Leute, weiß ich nicht.
Dieß weiß ich wohl, man sieht nicht ohne Licht;
Doch, wer da sehn will - stärke seine Augen.