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Karoline
(1754-
 
 Rudolphi
1811)
 
 
 
An die Muse
 1776
 
O Freundinn, die mein pochend Herz
Zur Ruhe stets bekehret,
Du hast mir Lust und frohen Scherz,
So oft ich bat, gewähret,
Laß doch der Sorgen bösen Schwarm,
O laß ihn von mir fliehen!
O laß den bangen finstern Harm
Die Seele nicht umziehen.
 
Von vielem, das man Glück genannt,
Dies, Freundinn, kannst du wissen,
Ward mir nie etwas zuerkannt,
Doch weiß ich es zu missen.
Daß ich dies weiß, daß du mich liebst,
Und oft im tieffsten Leide
Noch Sonnenschein der Seele giebst,
Dies ist mir Glück und Freude.
 
Von allem, was nur Glück genannt,
Von seinen schönsten Gaben,
Von reichem Guth und hohem Stand
Könnt' ich die Fülle haben;
Und doch nicht weisen, frohen Muth,
Nicht Sonnenschein der Seele.
O Muse, laß mir dieses Guth,
Weil ich noch Tage zähle.
 
Und sterb' ich in der Blüthezeit
Des Lebens, - - nim die Leyer
Und trag sie, die ich nie entweiht,
Bey jeder Frühlingsfeier
In meinen kleinen Birkenhain,
Wo ich mich dein gefreuet,
Wo du bey stillem Mondenschein
Zur Freundinn mich geweihet.
 
Und hänge, wo mein Staub zerfiel,
(Denn hier, wie ichs mich freue,
Hier ruh' ich einst) mein Saitenspiel
An eine kleine Maye,
Und lisple, wenn im süßen Traum
Ein Wanderer sich wieget,
Dem armen Mann von diesem Baum:
Daß hier ein Mädchen lieget,
 
Die so wie er des Lebens Pfad
Oft öd' und rauh gefunden;
Doch deren Muth kein Sturmwind hat,
Kein Wetter überwunden;
Die sich in Wüsten Blumen schuf,
In öden Winterfluren,
Und hörte gern der Freude Ruf,
Und folgte ihren Spuren.
 
Die, nahte sich ihr Feind, der Gram,
Ihn eilend zu verscheuchen,
Nur die bekränzte Leyer nahm,
Und bald ihn sah entweichen,
Die ruhig lächelte dem Tod,
Und mit gelaßner Seele
Ihm folgt', als er die Hand ihr bot,
Zur unbekannten Höhle.
 
Doch, Freundinn, die mein klagend Herz
So zärtlich oft gestillet,
Mit süßer Freud' und süßem Schmerz
So wunderbar erfüllet,
Laß mir noch, eh du mich beweinst,
Manch kleines Liedchen glücken,
Das weiche Schwesterseelen einst
An ihren Busen drücken.