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Anna
(1865-
 
 Ritter
1921)
 
 
 
Überraschende Bekanntschaft
 
Oft, wenn ich so las, wie gesittet er sei,
Wie zierlich er ginge im weißen Gewand
Und wie er's verstünde, das schlafende Land
Zu schmücken mit tausend duftigen Blüthen -
Da kam er mir immer recht langweilig vor,
Und ich dachte im Stillen: Gott soll mich behüten,
Das fehlte mir noch, solch ein tänzelnder Thor,
 
Und neulich einmal - es war so ein Tag,
An dem sie hier ängstlich die Thüren verschließen -
Der Märzsturm fuhr johlend die Gasse herauf,
Da litt's mich nicht drinnen im schweigenden Haus,
Da zog ich mein Mäntelchen fest um die Schultern
Und lief auf die trotzigen Berge hinauf.
Hu - pfiff mir der Wind um die brennenden Ohren!
 
Und riß mir am Kleide und riß mir am Hut ..
Ich konnte mich kaum noch des Wilden erwehren -
Und war doch voll Jubel, und war ihm doch gut!
Und als uns dann endlich der Athem vergangen,
Da sahn wir uns fragend ins heiße Gesicht:
»Wer bist du?«
»»Ich bin die Frau Räthin von drunten! Und du?««
»Ei, der Frühling. Kennst du mich nicht?«
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Wie haben wir Beide da oben gelacht -
Wir hatten's uns Beide - ganz anders gedacht!