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Natalie von
(1802-
 
 Herder
1871)
 
 
 
Die Unvermählten
    10. 6. 41
 
Wie ist des Menschen Sinn doch oft verschieden,
Den Einen kränket, was den Andren freut;
Der Erste sucht das Glück daheim in Frieden,
Den Zweiten reges Leben nur zerstreut.
 
Jüngst schuf ich mir in einem wachen Traume
Gedankenbilder, ein Kaleidoskop,
Vereint sah ich, in eines Stiftes Raume,
Der Jungfrau'n sieben; singt mit mir ihr Lob.
 
Annette, von der Welt einst schön gepriesen,
Kann nicht begreifen, daß sie's nicht mehr ist,
Wie auch die Kunst sich hülfreich ihr erwiesen,
Umsonst ist jede Täuschung, jede List.
 
Sie will an Keiner jetzt mehr gelten lassen,
Was sie in ihrer Jugend selbst erfreut.
Ein schönes Mädchen könnte sie fast hassen,
Es sucht und findet Fehler stets ihr Neid.
 
Am Spiegel bringt sie hin die alten Tage,
Und sucht umsonst entschwund'ner Reize Spur,
Für Andre ist sie oft nur eine Plage,
Denn Klatschen und Verläumden will sie nur.
 
In stiller Einsamkeit sitzt Magdalene,
Sie hat genossen ihre Jugendzeit,
Nicht, daß sie jetzt noch nach der Welt sich sehne,
Ihr Herz wird längst nicht mehr durch Tand erfreut.
 
Sie hält dem Nächsten stets Erbauungsreden,
Nur Reu' und Buße füllt den frommen Sinn!
»Der Mensch ist nur geschaffen um zu beten,
Bekehret Euch, wie ich, die Sünderin!«
 
Vergessen von der Welt ward oft Auguste,
Sie ging durch's Leben ohne Bitterkeit,
Erfreute Jedes, wie sie konnt' und wußte,
Zu Liebesdiensten willig und bereit.
 
Die Freuden, die das Leben ihr versaget,
Verschaffte Andern gern ihr gutes Herz.
Das jüngste Mädchen ihr vertraulich klaget
Der Liebe Zweifel, wie der Liebe Schmerz.
 
Nicht leicht kommt ungestraft in ihre Nähe
Ein hoffnungsvoller Heirathscandidat,
So feurig malt sie ihm das Glück der Ehe,
Bis er recht bald zu frei'n versprochen hat.
 
Ganz andre Dinge fesseln Leonoren,
Sie schützt die Künstler, huldiget der Kunst,
Sie fühlt, daß sie zur Dichterin geboren,
Ihr lacht der Musen, strahlt Apollo's Gunst.
 
Sie quält die Welt mit ihren Aquarellen,
Spricht über jeden Meister hochgelehrt,
Singt und citirt der Dichter schönste Stellen,
Doch ist ihr Urtheil größtentheils verkehrt.
 
Des Morgens auf dem Divan hingegossen,
Spricht sie von Nerven, alles greift sie an,
Doch Abends im Salon, von Licht umflossen,
Beglückt ihr holdes Lächeln Jedermann.
 
Daneben sitzt behaglich in der Zelle,
Den Mops zur Seite, an dem Kaffeetisch,
Das Döschen in den Händen Arabelle,
Von Scherz und Ernst ein wunderlich Gemisch.
 
Sie reicht den Vögeln hin ihr täglich Futter,
Besieht den Himmel, eilt zum Wetterglas,
Zur Wäsche kaufte sie die theure Butter,
Und nun droht Regen, welch' ein schlechter Spaß!
 
Aus einer Schachtel, wohlverwahrt im Schranke,
Holt sie die Karten, schließt sich sorglich ein,
Legt eifrig grand' patience; der Hauptgedanke
Ist: wird die Sonne scheinen? nein, ja, nein?
 
Geschwätzig eilt von Haus zu Haus Hermine,
Verzieht hier Kinder, zankt dort mit dem Mann,
Weiß Alles besser, mit Protektormiene,
Beut Jedem Hülfe sie und Dienste an.
 
Und einzeln sucht sie Jedem weiß zu machen,
»Für Dich nur sammle ich mein Hab' und Gut,
»All' mein Erspartes, meine sieben Sachen,
»Dir und den Deinen kommen sie zu gut.«
 
Noch bleibt mir eine von den seltnen Arten,
Die spröde Lina, die schon krampfhaft zuckt,
Wenn aus dem nah' gelegnen Kaffeegarten
In ihr Gebiet ein Mann zufällig guckt.
 
»Nie, nie betret' ein solcher meine Schwelle!
»Verräther sind sie Alle, groß und klein,
»Ihr Herrn der Schöpfung, laßt nur eine Stelle
»Mir ungestört: mein stilles Kämmerlein.«
 
Ganz anders aber in der eignen Klause
Ist Jede, als wenn sie beisammen sind,
Nicht immer ist die Eintracht da zu Hause,
Nur zwei und zwei sind friedlich oft gesinnt.
 
An Andren finden Alle nur den Splitter,
Das eigne Herz sieht Jede fehlerlos,
Getäuschte Hoffnung macht die Meisten bitter;
Der Sieg ist klein, wenn auch der Kampf oft groß.