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Annette von
(1797-
 
 Droste-Hülshoff
1848)
 
 
 
Halt fest!
 
Halt fest den Freund, den einmal du erworben,
Er läßt dir keine Gaben für das Neue;
Läßt, wie das Haus, in dem ein Leib gestorben,
Unrein das Herz, wo modert eine Treue;
Meinst du, dein sei der Hände Druck, der Strahl
Des eignen Auges arglos und voll Liebe?
Drückst du zum zweiten-, blickst zum zweitenmal,
Die Frucht ist fleckig und der Spiegel trübe.
 
Halt fest dein Wort, o fest wie deine Seele;
So stolz und freudig mag kein Lorbeer ranken,
Daß er das Mal auf einer Stirne hehle,
Die unterm Druck des Wortes konnte wanken;
Der ärmste Bettler, dem ein ehrlich Herz,
Darf wie ein König dir genüber treten,
Und du? du zupfst den Lorbeer niederwärts
Und heimlich mußt du dein peccavi beten.
 
Halt fest den Glauben, laß ihn dir genügen!
Wer möchte Blut um fremden Ichor tauschen!
Verstößest du den Cherub deiner Wiegen,
Aus jedem Blatt wird dir sein Flügel rauschen!
Und ist dein Geist zu stark, vielleicht zu blind,
In seiner Hand das Flammenschwert zu sehen,
So zweifle nicht, er wird, ein weinend Kind,
An deinem öden letzten Lager stehen.
 
Und dann die Gabe, gnädig dir verliehen,
Den köstlichen Moment, den gottgesandten,
O feßle, feßle seinen Quell im Fliehen,
Halt jeden Tropfen höher als Demanten!
Noch schläft die Zukunft, doch sie wacht dareinst,
Wo deinem Willen sich die Kraft entwunden,
Wo du verlor'ne schwere Tränen weinst
In die Charybdis deiner toten Stunden!
 
Vor allem aber halt das Kind der Schmerzen,
Dein angefochtnes Selbst, von Gott gegeben!
O sauge nicht das Blut aus deinem Herzen,
Um einen Seelenbastard zu beleben,
Daß, wenn dir einstens vor dem Golem graut,
Es zu dir trete nicht mit leisem Klagen:
»So war ich, und so ward ich dir vertraut,
Unsel'ger, warum hast du mich erschlagen?«
 
Drum fest, nur fest, nur keinen Schritt zur Seite!
Der Himmel hat die Pfade wohl bezeichnet;
Ein reines Aug' erkennt sie aus der Weite,
Und nur der Wille hat den Pfad verleugnet;
Uns allen ward ein Kompaß eingedrückt,
Noch keiner hat ihn aus der Brust gerissen:
Die Ehre nennt ihn, wer zur Erde blickt,
Und wer zum Himmel, nennt ihn das Gewissen.