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Hedwig
(1882-
 
 Caspari
1922)
 
 
 
6. Merajoth
 
Schön seid ihr Söhne vom heiligen Stamme Levi! - Leichtbewegt
Spielen eure Glieder unter dem priesterlichen Kleid
Ans blauem und purpurnem Leinen.
Ihr tragt euch gelassen in zarten Hüften.
Feine, gestreckte Stäbe sind eure Finger an Händen und Füßen.
Und eure Knöchel sind schmal und schimmern.
Wie die Wiesen im Frühling sind eure Häupter,
Von keiner Sichel berührte Wiesen,
Und eure Locken duften wie Sommerblüten.
In euren Adern rinnt das Blut der Mütter,
Die ungeschwächt und keusch zum Manne sich legten.
Ihr seid die Frucht von makellosen Bäumen.
Schön seid ihr Söhne vom heiligen Stamme Levi. - Doch unter euch allen
Ist keiner so schön wie Merajoth.
 
Merajoth hat keine Heimat im Schoß eines Weibes.
Noch ist er keusch wie ein Erstlingsopfer.
Seine Heimat ist der Tempel des Herrn.
Verhüllten Hauptes tritt er vor die heilige Lade.
Aus fahlem Lichte heben sich drohend die Cherubim.
Ihre Schwingen breiten sich in goldener Starrheit, - regungsloses Lächeln
Lagert auf den großen Flächen ihrer Züge.
Aus toten Augen blicken sie in leeren Raum.
Die Leiber der erzenen Rinder wuchten in gedrängter Masse.
Auf ihren metallischen Flanken lastet dunkel
Die weitgeschwungene Schale des ehernen Meeres.
Im geschnitzten Gewirr des Gestühles wuchert lebloses Leben:
Löwen, Ochsen, Cherubim, verschlungen in steifer Erstarrung.
Von den Quadern der Grundfeste recken sich Säulen.
Sie bergen in sich die verhaltene Kraft ihres Aufstieges.
Unaufhaltsame Brandung stemmen sie sich dem Dache entgegen
Und offenbaren im Steigen ein Wissen von Unendlichkeit.
 
In übergewaltigen Formen dämmert die Heimat des Merajoth.
Nichts treibt ihn zurück über Vorhof und Stufen
Zum hellen Tag.
Seine Schönheit lebt im fahlen Licht
Und wächst mit dem Schwunge der Säulen empor
Zum Namenlosen.