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Hedwig
(1882-
 
 Caspari
1922)
 
 
 
2. Die Hirten
 
Über Jerusalem lastet die Sonne.
Der Äther schwirrt in lichten Flimmern.
Auf allen Hügeln weiden Schafe vor den Toren der Stadt.
Ein fettiger Brodem schlägt aus wolligen Fellen.
Die Erde riecht nach warmem Dung und Kräutern.
Im Schatten der Ölbäume bewachen junge Knaben die Herden ihrer Väter.
Ein assyrischer Stier aus dunklem Granit
Wuchtet aus ihrer Mitte die Kraft des Joktan,
Schultern und Nacken sind ihm gedrängt.
Seine Brust ist wie das Bollwerk der Feste.
Ein dröhnendes Erz ist seine Stimme.
Joktan ist Herrscher inmitten der Seinen,
Der Knaben Elam, Orphachsal, Gether und Hul.
Sie spähen in die Ferne.
Sie wissen: dort, irgendwo, wo Sonnennebel das Land verhüllen,
Kämpfen mannbare Brüder mit den Feinden des Herrn Zebaoth.
Sie aber sehnen sich aus der Umfriedung ihres Hirtentums,
Sie träumen von Kampf und Tat.
Tönende Worte werden gesprochen: Waffen, Weiber, Blut, Beute.
Ein Machthaber ist Joktan, - er führt und bedrängt,
Fesselt und entflammt.
Aber sein Widersacher ist Peleg.
Peleg ist ein magerer Schakal.
Seine Stimme ist Widerspruch, - sie duckt sich und faucht.
Er schleicht um die Masse des Joktan.
Er springt ihn an.
Der Granit des assyrischen Stieres wird langsames Leben.
Ein harter Hieb, ein Stoß. -
Es kneult sich auf der Erde, zuckt, bäumt sich auf,
Ineinander verbissen, verkrallt.
Nackte Knabenleiber stürzen in die Brunst des Kampfes,
Der wie eine Woge aufwärts brandet
Und verebbt.
 
Aber weit vom Getümmel weilt Sesak.
Fingernd zählt er die Herde Stück für Stück,
Und überdenkt im Geiste den Nutzen der Schur.
Da trabt es heran.
Nackte Sohlen schlagen den Boden.
Huppim und Suppim sind es, die Söhne des Ir.
Brandrote Schöpfe steigen von ihrem Schädel steil zur Höhe.
Die Rücken ihrer Nase sind gefleckt von der Sonne wie der Hals der Giraffe.
Sie springen wie junge Böcke und verwirren
Den geordneten Gang der Herde.
 
Schwerer werden die Brände des Mittags.
Der königliche Knabe Jelophehad
Hört nicht der Brüder lautes Lachen.
Schwer in sich selbst versunken ruht er atmend im Grase.
Der erste Flaum der Mannbarkeit dunkelt ihm auf Leib und Lippen,
Doch er selbst ist ohne Traum und ohne Sehnen.
Es tut ihm wohl,
Den Frieden ziellosen Wachstums in sich zu fühlen
Einen Tag wie den andern.
 
Abendnebel gleiten über die Erde,
Erwartung züngelt auf in heißen Worten.
Eng umschlungen wandeln die Knaben Jeguel und Ahjo.
Sie träumen von der Schönheit der jungen Hodijah.
Ihre Lippen sind stumm,
Doch ihr Blut singt ein Lied,
Das Lied der Hodijah:
Hodijah, deine Augen!
Hodijah, deine Brüste!
Hodijah, deine Lenden!
Hodijah! Hodijah!
Unrast treibt sie aus der Umfriedung der Hürden.
Sie wandern ziellos.
Sie fassen sich fester. -
Hodijah! Hodijah!