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Hedwig
(1882-
 
 Caspari
1922)
 
 
 
Abisag
 
In den Nächten, da sie bei dem Alten,
Dem Erstarrenden, dem König lag,
Hatte sie so viel in sich verhalten,
So sich aufgespart dem Greisen, Kalten,
Daß sie jetzt aus seines Bettes Falten
Aufstieg, wie ein Brand zum neuen Tag.
 
Denn sie war wie jung gereifter Wein,
Der in eigner Gärung überstanden.
In ihr quoll Zersetzung wie ein Branden,
Und sie goß sich in das Blut hinein
Aller jener, die von fern ihr nahten,
Bis zu Mord und unerhörten Taten,
Sie der Rausch bezwang;
                                 doch sie blieb rein,
Unbewußt und kindhaft, - blieb die gleiche,
Die sie war, als sie beim Alten ruhte.
 
Doch da sie vor des Andonia Leiche
Stand; - er lag erstarrt in seinem Blute, -
Zum Verhängnis wurde ihm sein Werben
Und der eigne Bruder zum Verhänger,
Da erschrak sie vor sich selbst. Nicht länger
War sie Glut, die unbewußt entflammte.
Denn was sie entflammte, mußte sterben
An der Unberührtheit ihrer Reife,
Die sich gegen sie verstieß.
                                      Ihr fror.
Und sie litt und sah sich als Verdammte.
Sie verfluchte ihren Leib, den Reife
Schweren Goldes schmückten und bedrückten. -
 
Und sie dachte jener weit entrückten,
Langen, stummen Nächte, da ihr Ohr
An der Brust des starren Alten lag.
Da sein müdes Herzblut, Schlag auf Schlag,
Einer Ewigkeit entgegenströmte,
Die sie so umfing, daß sie sie hörte.
 
Sie zerschlug die Brust, und sie empörte
Auf sich gegen Gott, der ihr Umfangen
Nicht so stark gemacht, daß es den Alten
Neu belebte, während sie die Steife
Ihrer Glieder spürte im Erkalten,
Bis zur Ewigkeit sie eingegangen
Ohne Zeit und ohne eigne Reife.