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Elisabeth
(1808-
 
 Kulmann
1825)
 
 
 
Die Narzisse
 
Narzisse war die Tochter
Endymions, des schönen,
Des einzigen von Menschen
Und Göttern, der Dianen
Zu sanfteren Gefühlen,
Und sanfteren Geschäften
Bewog, als die Gehölze
Arkadiens mit Bogen
Und Pfeil, von früher Dämmrung
Bis nach der Abendröthe,
Mit Mordlust zu durchstreifen.
Der Mutter Sinn und Schönheit
War auch Narzissen eigen.
Sie kannte kein Vergnügen,
Als von dem Silberbogen
Des Ziels gewisse Pfeile
Bis an den Saum der Wolken
Dem Habicht nachzusenden,
Der ihrer Lieblingsvögel
Noch nackte Brut verschlungen;
Im windeschnellen Laufe
Den Hafen zu ereilen;
Mit rächerischem Speere
Den Fuchs kühn zu erlegen;
Trotz Warnungen stets wünschend
Auf ihren Streifereien
Auf einen Wolf zu stoßen.
 
Selbst wenn in schwülen Tagen
Die Gluth des Rosenleibes
In kühler Fluth zu mindern
Am Abend sie beschlossen;
Wird nimmer sie die Stelle
Erwählen, wo der Waldbach,
Vom Taumel seines Sturzes
Sich endlich ganz erholend,
Klar wie ein Spiegel hinfließt:
Nein, in den Schaum des Falles
Wird munter sie sich stürzen,
Des zarten Silbernebels,
Der über ihm leicht schwebend
Wie Iris Bogen glänzet,
Sich freuend, und des lauten
Betäubenden Getöses,
Der bebenden Gesträuche
Des reichbelaubten Ufers,
Und der vom Sturz der Wasser
Schon blankgeschliffnen Felsen.
 
Und ist dem goldnen Haupthaar
Die Nässe nun entflossen,
So schlingt sie kunstlos wieder
In einem üpp'gen Wulste
Es um die hohe Stirne;
Wirft hastig um die Schultern
Die männlichen Gewande,
Verachtend ihres eignen
Geschlechtes weiche Kleidung;
Und eilet zu des Vaters
Gesträuchumwachs'ner Wohnung,
Um karger Ruh zu pflegen,
Und vor dem Tage wieder
Der Spur des Wilds zu folgen.
 
Es war die schöne Wilde
Der Jünglinge Gedanke
Am Tag, ihr Traum in Nächten;
Doch ungerühret oder
Verschmähend sah sie alle.
Oft sprach zu ihr der Vater:
»Die Götter und die Menschen
»Sind Amors Unterthanen.
»Glaubst du dich seiner Herrschaft
»Entziehn zu können? Liebe:
»Und mache dich, und durch dich
»Der Jüngling' einen glücklich,
»Die lang dich schon umwerben.
»So seh' ich noch, eh' selbst ich
»Zum Greis geworden, meiner
»Narzisse holde Kinder
»In meiner Hütt' erwachsen.« -
 
Den ersten, der mein Herz rührt,
Will ich, o Vater, wählen;
Bis itzt gelang es keinem:
Erwiedert sie, und suchet
Des Vaters düstre Wolken
Durch Kosen zu zerstreuen.
 
Als einst vom grauen Morgen
Bis nach der Mittagsstunde
Sie einem zarten Rehe
Vergebens über Felder
Und Hügel nachgesetzet,
Des Tages Gluth einathmend;
Sucht müde und erschöpfet
Sie eine Quelle, deren
Willkommenes Geräusch ihr
Vom Walde her ins Ohr tönt.
 
Kaum hat den Saum der Waldung
Sie überschritten, siehe,
Da wölben, wie zu einem
Geräumighohen Dome
Sich alter Bäume Wipfel,
Nur einen engen Eingang
Dem Sonnenlicht gewährend.
In diesem heil'gen Dunkel
Erweitert sich der Quelle
Gesammeltes Gewässer
Zu einem tiefen Teiche,
Den duftigweicher Rasen
Wollüstig rings begränzet.
 
Müd' läßt sich hier Narzisse
Am Rand des Teiches nieder,
Willkommne Kühlung athmend,
Lehnt Bogen, Speer und Köcher
An einer nahen Eiche
Bemoosten Stamm, und lauschet
Dem traurigsüßen Liede,
Das (eh' der Stolz des Lenzes,
Nun kinderlos) sich selber
Und dem mitleid'gen Hain singt
Die Nachtigall. Es wecken
Die Klagetöne tausend
Eh' ungeahnte Triebe
Itzt in Narzissens Busen.
Es füllet unwillkührlich
Ihr Auge sich mit Thränen.
In unerklärbar süße
Und schreckende Gedanken
Verloren, neigt ihr Haupt sie,
Dem spiegelhellen Teich zu,
Auf ihre Rechte. Götter!
Was für ein Anblick! Reizend
Und hehr gleich einem Gotte
Strahlt aus der Tief' ein Antlitz
Starrblickend ihr entgegen.
Laut schreiend klammert fest sie
Die Arme um die Eiche,
Ihr zartes Antlitz gegen
Die rauhe Rinde drückend,
Bis sie allmählig wieder
Vom Schrecken sich erholte
Und sprach : »Warum erschrak ich,
»Als ob ein Ungeheuer
»Mich zu verschlingen drohte?
»Ja, eines Gottes Antlitz
»War es; zwar ernst, doch zornlos;
»Vielleicht selbst gütig; aber
»Unsäglich schön und reizend.
»Beinah zu zart für einen
»Selbst von den jüngsten Göttern;
»Die Tracht glich ganz der meinen....
»Brauch' ich mich sehr zu wundern,
»Daß einer Göttin Tochter
»Ein Gott erschien? ... Durch Zufall
»Vielleicht.... Kann er der Eigner
»Nicht sein von diesem Bache?...
»Vielleicht auch.... Ließ nicht Neptun,
»Ja selbst der Götter Gott sich
»Herab zu Erdetöchtern?
»Ich Thörin!«
 
                     Bangneugierig
Neigt zögernd sie von neuem
Ihr Antlitz nach dem Teiche,
Und fährt erschrocken wieder
Zurücke bei dem Anblick.
Doch endlich sich ermannend,
Wagt sie's ihn zu betrachten.
»Was seh' ich, gute Götter!
»Find' ich hier nicht der Mutter
»Geliebte Züge wieder?
»Dies ist Dianens Stirne,
»Ihr heitres blaues Auge,
»Dieselbe Hoheit, Würde,
»Derselbe Wuchs!... Ist's Irrthum,
»Was mein Gemüth itzt ahnet?
»Er ist ein jüngrer Bruder,
»Oder ein Sohn Apollo's;
»Und liebend führt die Mutter
»Mich in des Gottes Arme,
»Erröthend beim Gedanken:
»Der Tochter hohe Abkunft
»Zur irdischen Verbindung
»Erniedriget zu sehen....
»Und wie wirst, theurer Vater,
»Du dich erfreun, du selbst einst
»Der strengsten Göttin Flamme,
»Wenn bald in Götter-Enkeln
»Du dich verjünget sehn wirst!
»Wie liebend er mich anblickt!
»Die Röthe seiner Wangen,
»Und diese Feuerworte,
»Die zum sanftoffnen Munde
»Mit Ungestüm sich drängen,
»Gestehn mir seine Liebe...
»Wie sehnend er die Arme
»Mich zu umfangen ausstreckt!
»O komm herauf, Geliebter!
»Und hör' aus meinem Munde
»Der Gegenliebe Worte....
»Was säumest du? Ist Vorsicht
»Dem Gotte nöthig, wenn ihm
»Ein Mädchen winket? Oder
»Darfst etwan auf der Erde
»Gebiet du dich nicht wagen
»Als Wassergott?... O wehe!
»Wer raubt mir den Geliebten?
»Und trübt dies klare Wasser,
»Um seine Flucht zu sichern?
»O Götter! ihr beneidet
»Narzissens künft'ge Wonne;
»Es raubt mir eine Göttin
»Den gleichenlosen Jüngling....
»Doch nein.... Die Frucht der Eiche,
»Vom hohen Aste fallend,
»War's, die das Wasser trübte.
»Ich sehe noch den Falken
»Rechtshin die Luft durchschneiden,
»Deß streifendes Gefieder
»Die Frucht vom Zweige trennte;
»Und ich erblick' aufs neue
»Das Antlitz des Geliebten....
»Du aber zürnst? Es decket
»Kein Roth mehr deine Wange,
»Und deine Arme breiten
»Sich sehnend nicht nach mir aus!
»O ich versteh' dein Zürnen,
»Und diesen Götterwink. Ja,
»Es gab ihn mir die Mutter.
»Ihr Liebling ist der Falke,
»Und mir zur Rechten flog er,
»Und um der Tochter Liebe
»Die Bahn zu zeigen, die sie
»Nun gehen soll, ließ vor mir
»Die Frucht sie untertauchen.
»O zürne nicht, Geliebter!
»Ich eil' in deine Arme,
»Ich eil' in deine Tiefen.«
 
So stürzte sie sich häuptlings
Dem Tode in die Arme.
Es hielten in der Tiefe
Des Teichs sie böse Geister
So lange fest, bis qualvoll
Ihr Leben sie verhauchet.
Mitleidig trägt der Bach sie
Itzt an der Waldung Ende,
Wo hoch sich in die Lüfte
Dianens Tempel hebet,
Und legt sie sanft ans Ufer
Der Tempelbucht. Diana
Beweinet sie drei Tage
Mit lauter Thränenklage,
Verwandelt dann die Tochter
In die gleichnam'ge Blume,
Und trägt in Freud' und Gram sie
Am mütterlichen Busen.
 
 
 

Anmerkung des Herausgebers K. F. von Großheinrich:
 
Dieses Gedicht hat ungemeinen Beifall gefunden, selbst bei denen, die es nicht gerne sehen, daß man an einer Sage, sie möge angehören welcher Nation sie wolle, auch nur den mindesten Umstand ändere. Das Lob dieser letztern ist, unserer Meinung nach, keine Kleinigkeit; denn der veränderten Umstände finden sich viele in dem Gedichte. Das schmeichelhafte Lob jedoch möchte wohl das sein, das uns einer unserer Freunde schriftlich mitgetheilt hat: »Alle vorhergehenden Gedichte zeichnen sich durch Neuheit oder Anmuth in Erfindung des Stoffes aus, dieses aber durch künstlerische Behandlung eines schon gegebenen (obwohl ziemlich abgeänderten) Stoffes. Ich habe das Gedicht zum mindesten zehnmal theils selbst gelesen, theils andern vorgelesen, und jedes mal neue Detailschönheiten entdeckt.«