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Elisabeth
(1808-
 
 Kulmann
1825)
 
 
 
Die Eule
 
Ich weiß, o Eule, weshalb
Die Menschen dich so hassen.
Sie nennen dich die Feindin
Des Tagelichts, der Sonne.
Ich hörte nie dich singen;
Vielleicht ist dein Gesang nicht
So lieblich wie die Stimme
Von hundert andern Vögeln;
Doch glaub' ich, daß die Menschen
Aus Haß Geheul ihn nennen.
Sie sind dir gram, weil du dir
Die Einsamkeit erwähltest,
Und noch viel mehr die Nächte
Mit ihrem Mond' und ihrem
Zahllosen Sternenheere
Du liebest als die Sonne,
Die dich mit ihren Strahlen
Verblendet. Doch ich denke
Nicht schlecht von dir deswegen.
Auch ich zieh' dem Geräusche
Die Einsamkeit, und Mondschein
Und Sternenglanz der Sonne
Oft vor. Sie haben eine
Zum Herzen geh'nde Sprache,
Die dem lärmvollen Tag fehlt.
Du wohnest in den Trümmern
Zerfallener Gebäude.
Bist du nicht, liebe Eule,
Vielleicht der Burggeist, welcher
Gern an den Stellen weilet,
Die lebend er bewohnte,
Wo er so manche Freude,
Und manches Leiden fühlte,
Die beide ihm die Trümmer
Des frühern Aufenthaltes
Noch theuer machen? alle
Erinnerungen früh'rer
Bewegungsvoller Tage
Umstehen dich. Ja, Eule,
So wird es sein: denn etwas
Ganz Eigenes, ja etwas
Geheimnißvolles lieget
In deinem gar zu hellen
Und gar zu scharfen Blicke.