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Maria
(1859-
 
 Janitschek
1927)
 
 
 
Der Ungläubige
 
Sie hatten ihn in seinem Sessel sacht
ans Fenster hingerollt.
                             Die Sonne sank;
auf allen Gärten lag ein Purpurschimmer,
ein strahlend Licht, das jede Kreatur
mit einem goldnen Heiligenschein umwob.
Von Duft berauschte, laue Abendwinde
erhoben sich und brausten durch die Bäume,
und spielten mit dem Schnee der jungen Blüten,
und sträubten kleiner Vögel zart Gefieder,
daß sie mit Jauchzen in das Rot sich stürzten ...
 
Der Kranke sah mit weichem Blick hinaus
und faltete die abgezehrten Hände.
»O Gott, du großer, mächtiger Herr und Meister
des Wunderwerkes Welt, du hoher Künstler,
der Frühlinge wie junge Rosen flicht
ums altersgraue Haupt der Ewigkeit,
der in den schwarzen Aether güldene Bälle
hinzauberte, damit sich seine Augen
am Farbenspiel ergötzen, der Musik
in grüne Wälder goß, die Purpurmeere
mit Perlen und mit köstlich reichem Luxus
erfüllte, der den dunklen Schooß der Erde
mit Gold- und Silberschätzen schmückte, du,
du großer Bildner, Hingerissener
von deinen Schöpfungsplänen, du Jehova,
Unauszusprechender, wie, du befaßtest
dich mit dem Schicksal deiner Kreaturen? ..
Du wüßtest, wenn von meinem Haupt ein Haar
zu Boden fällt, wenn Kränkung meine Brust
erschütterte, wenn meine Wünsche eitel,
mein Traum und Hoffen trog?
                                      Du der Gewaltige,
der Große? Ach! du kennst mein Kümmern nicht,
kennst nicht den Schrei, der oftmals meinem Mund
in dunkler Leidensstunde sich entringt.
Wie sollt auch ... du und ich! Vermessenheit,
nach dir zu nennen jene Eintagsfliege,
den Menschen ...«
                         Draußen waren finster worden
die lichten Gärten. Einsam lag der Kranke.
Er wollte rufen, schreien .. doch sein Odem,
wie ein erfroren Vöglein, blieb ganz stumm
in seiner toten Brust.
                           Ein hoher Jüngling,
mit langen Schwingen, neigte sich auf ihn
und nahm von seinen Lippen seine Seele.
»Du gar zu demütig Bescheidne du,
komm mit zum Herrn!«
                             Und in die weichen Flügel
die scheue Seele hüllend, steigt er auf
in einen unabsehbar weiten Saal.
Milliarden schöner lichtumflossner Menschen,
durchsichtig wie die Luft und schlank wie Blumen,
von denen Jeder eine Krone trägt,
umringen Einen.
                     Furchtbar ist sein Antlitz,
und unbewegt der starren Schläfe Erz.
Doch Brüste, wie sie eine Mutter hat,
verkünden seiner Gnade rinnend Mitleid.
 
Er blickt die Seele an ...
                                 »O Frevlerin
aus zager Demut! Wär ich, der ich bin,
wenn ich nur Großes faßte, Herrliches,
das mir verwandt?
                         Das ist der Allmacht Fülle,
daß sie, die Welten baut, des Wurmes Nerven
in ihren Fingern spürt, daß sie das Rollen
der Sonnen nicht verhindert, zu vernehmen
den Flügelschlag des Schmetterlings.

                                                  Hier komm
und trinke Wissen, Kraft und Schönheit, trinke
mein Blut, das deins ist.
                                Da entfalten sich
der heiligen Scharen goldne Schwingen rings;
ein jauchzendes Tedeum braust gewaltig
durch alle Himmel.
                        Gnadeüberwältigt
hinstürzt die Seele an die Brust des Herrn.