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Natalie von
(1802-
 
 Herder
1871)
 
 
 
Das Kind und der Weise
 
Nach dem Französischen
 
Ein muntres Kind mit dunklem Haar,
Gar lieblich frischen Wangen,
Und einem klugen Augenpaar,
Kommt eilig früh gegangen,
Als kaum der Morgen aufgethan
Die große Himmelspforte,
Und klopft bei ihrem Nachbar an
Mit dem bescheid'nen Worte:
»Erlaubt Ihr, Herr Professor, mir,
»Daß ich ein Stückchen Kohle
»Von Eurem großen Heerde hier
»Zu unsrem Feuer hole?«
- Recht gern, mein Kind, versetzt bedacht
Der alte Hochgelehrte,
Doch hast Du ja nichts mitgebracht,
Worin Du's träg'st, ich werde
Dir holen ein ...... wie heißt's doch gleich,
Womit man Brennstoff träget?
Ein Werkzeug aus Vulkanus Reich,
Im Feuer ausgepräget ......
»O! Herr, das laßt hübsch Alles seyn,
»Gebt Euch nicht so viel Mühe,
»Ich leg's in meine Hand hinein«,
Versetzt das Kind und siehe,
In kurzer Zeit, man konnte kaum
Ein Amen dazu sagen,
Streu't in des Händchens innren Raum
Sie dichte Aschenlagen,
Damit die Glut sie nicht verbrennt,
Darauf legt sie die Kohlen,
Macht schnell dem Herrn ihr Compliment
Und ruft ein »Gott befohlen!«
So läuft sie fort, der Doktor steht
Am Ofen wie vernichtet.
Die Wissenschaft in Staub vergeht,
Ein Kind hat sie gerichtet.
Ich sinne nach, studiere schier
Schon mehr als dreißig Jahre,
Und jetzo lehrt die Einfalt mir
Auf kurzem Weg das Wahre.
Wie eitel ist Gelehrsamkeit
Und alles Reflektiren,
Verloren hab' ich meine Zeit,
Mein Wirken und Dociren.
Wohl spricht der weise Zeno wahr,
Wenn er vom Denker saget:
»Dem Klügsten ist nicht Alles klar!«
Wer den Gelehrten fraget,
Nach dem, was sich von selbst versteht,
Wird er Bescheid leicht geben
Von Allem, was im Mond vorgeht,
Doch nie vom prakt'schen Leben.