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Louise
(1777-
 
 Brachmann
1822)
 
 
 
Der Führer
 
Nieder von des Berges Höhen,
Stieg ein Jüngling schön und licht,
Hold und freundlich anzusehen,
Wie ein Stern durch Wolken bricht.
 
Eine sanfte Fackel glühte
Hoch in seiner rechten Hand;
Freier ward mir's im Gemüthe,
Als er lächelnd vor mir stand.
 
Willst du, sprach er, arme Kleine,
Die so einsam still sich hält,
Mit mir wandeln bei dem Scheine
Sanften Lichtes in der Welt?
 
Wecken in der Menschen Busen
Will ich tiefe Sympathie,
Und mit heilger Kraft der Musen
Die verborgne Harmonie.
 
Gern, o gern, du Guter, Milder,
Rief ich, will ich mit dir gehn!
Bringst du schöne, ros'ge Bilder
Mir von deines Himmels Höhn?
 
Bilder aus beglücktern Sphären,
Sprach er, wirst du ahndend sehn;
Doch ich will vorher dich lehren
Auch des Lebens Reiz verstehn.
 
Diese Fackel wird dir zeigen,
Wo der Born der Freude quillt,
Wo die Ros' in duft'gen Zweigen
Purpurn ihrer Knosp' entschwillt.
 
Deutlich wird vom Blattgeflüster,
Dir Musik der Geister wehn;
Wird aus Hainen still und düster,
Und aus Bächen murmelnd gehn.
 
Selbst hinab in jene Tiefen,
In der Gnomen nächtlich Reich
Steig ich, wo die Geister schliefen
Unter Trümmern kalt und bleich.
 
Daß mein Ruf das Leben zünde,
Schlummernd in des Steines Nacht;
Daß sich Kraft mit Kraft verbinde,
In geheimer Wundermacht.
 
Daß die geistgen Funken blitzen
Aus dem lebenden Metall,
Und von dunklen Geistersitzen
Redet laut der Wiederhall.
 
So im ew'gen Lebensodem
Hält die Erd' ein geistig Band,
Wo dein Fuß berührt den Boden,
Ist der Liebe heilges Land.«

 
Sprach's, und froh mit ihm zu gehen,
Zeigt' er mir die sanfte Spur,
Lehrte mich den Sinn verstehen
Dunkler, heiliger Natur.
 
Und ich sah in glüh'ndem Leben
Schwellend rings das All der Welt;
Alles war mit Lieb umgeben,
Und von sel'gem Licht erhellt.
 
Aber jetzt, bewegt und leise,
Senkt' er seiner Fackel Brand.
Freundinn, von der Pilger-Reise,
Kehr' ich in mein Vaterland.
 
Lebe wohl und pfleg im Innern
Treu der Wahrheit leichten Sinn
Und mit seligem Erinnern
Gieb der heilgen Macht dich hin.
 
Oft mit stiller frommer Liebe
Denkst du meiner noch gewiß;
Doch daß dir mein Nam' auch bliebe,
Wiß, ich heiße Novalis.