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Hedwig
(1882-
 
 Caspari
1922)
 
 
 
Da sahen die Kinder Gottes nach den Töchtern
der Menschen, wie sie schön waren und nahmen
zu Weibern, welche sie wollten

 
Aus schwarzen Wolken hob sich das Gefieder
Des Himmlischen und fiel auf sie herab
Und deckte sie, daß wie in einem Grab
Umschattet lag die Weiße ihrer Glieder,
Die in der Wölbung seiner weiten Schwingen
Sich zuckend bäumte.
 
                               Und so sank sie nieder
Entspannt und kraftlos. Ihres Blutes Singen
Vermählte sich zu einem großen Klang
Mit seinem Atem, der in schweren Stößen
Sie überflutete und ihre Blößen
Erschauern machte und sie so durchdrang
Mit seiner Wärme, wie der heiße Strahl
Die Trauben, daß die Reife ihres Saftes
In Rausch umschlägt. - So lag sie und befahl
Nicht mehr den eignen Gliedern und versank.
 
Doch dann, als sie erwacht, und ihr erschlafftes,
Geschwächtes Fleisch erstand, lag sie im Raum
Allein und fror. Sie war nicht mehr bedeckt
Von jener Flügelwölbung zartem Flaum.
Mit großen Augen lag sie, aufgereckt,
Und über sich sah sie am Himmelssaum
Wie dunklen Fittich eine Wolke steigen,
Lautlos, im schnellen Flug.
                              Schon war sie weit. -
Da ging sie durch der Felder wogend Neigen
Der Hütte zu und schritt so wie im Traum
Und wußte nicht mehr ihre Wirklichkeit.