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Hedwig
(1882-
 
 Caspari
1922)
 
 
 
Schrei
 
Ein Werk, ein Werk!
Schenke ein Werk mir, lebendige Kraft,
Die du Keime aus totem Erdreich treibst
Und befruchtend aus Luft in geöffnete Kelche sinkst!
Schenke ein Werk mir, größer als ich,
Wirf einen Block auf meinen Weg,
Der den Ausblick mir wehrt mit seiner Schwere.
Und laß meine Muskeln sich spannen,
Zum Zerreißen sich spannen Tag für Tag,
Bis ich nichts weiß, nichts fühle mehr als Wucht und Spannung,
Bis jede Nacht mich zum traumlosen Ding zernichtet,
Und jede Sonne mich aufreißt zu tötendem Kampf,
Bis ich den Block auf heiligen Berges Gipfel,
Da deine Stimme zu mir spricht,
Dir zum Altar erhoben.
Aber bis dahin lösche mich aus
Vor meines Werkes eigenwilligem Fordern.
 
Denn Neid bricht in mich ein,
Gedenke ich jener,
Deren Tage nichts anderes
Als ein Besessensein vom Werk gewesen.
Was konnte ihnen geschehen?
Sie hatten keinen Leib.
Sie fühlten nicht der Witterung Niederschlag und Schwere,
Die mich zermürbt und meine Seele trostlos macht.
Ihnen war Rausch nur wie dem Eisen
Der treibende Strom, der mit neuer Schwungkraft
Zum Werke sie lädt.
Ich aber bin Leib, der fordert und heischt.
Jenen war fremd
Gemeine Menschensatzung,
Denn nur wie durch Nebel des Ätherrausches
Fühlten sie vag die Schmerzen
Der Erdgebundenheit.
Kämpfer mit Gott
Rangen sie nur mit ihm.
Sie brauchten nicht Freund und Gefährtin
Im Kampfe der Liebe.
Kein Schicksal konnte sie trüben
In einer Liebe,
Kein Schicksal im Hasse der Menschen.
Ich aber bin erdgebunden. Ich habe Menschen,
Für die ich zittere in Not und Qual,
Kein Werk im Geiste.
Wenn mich in ihnen das Schicksal trifft,
Wer bin ich dann?
 
Ein Werk! Ein Werk!
Schenke ein Werk mir, lebendige Kraft,
Daß mein Räusche sich erhöhen über den Augenblick,
Damit ich weiß, weswegen ich gelitten!