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Karoline von
(1780-
 
 Günderrode
1806)
 
 
 
An meine Heilige
 
Geweihte Du! Erbarmungsvolle,
Verlasse meine Seele nicht!
O wende, Hochgebenedeite,
Von mir nicht ab dein Angesicht!
Es theilt ja auch der Mond sein Leuchten:
Halb wendet er zur Erde sich,
Halb sieht er in des Himmels Tiefe
Und freuet mit den Sternen sich.
Einst kniet ich nieder ohne Beten,
Und ohne Andacht stand ich auf,
Meine Auge hob sich wohl zum Himmel,
Doch meine Seele nicht hinauf.
Wie alle Ströme abwärts fließen
Tief in der Erde Schoos hinein,
So war mein Leben auch ergossen
In dieser Erde eitlen Schein.
Da hat die Himmlische erbarmend
Gezogen mich zu sich hinauf,
Mein Herz beweget und geschwellet,
Wie Fluthen schwellt des Mondes Lauf.
Der Liebe Boten hat gesendet
Die Herrliche mir immerdar;
Propheten sind zu mir gekommen,
Enthüllten sie mir wunderbar.
In Sonn und Mond hat sie gesprochen,
Auf Bergeshöhn, in Klüfte Nacht,
Bis ihre Stimme ich erkennet,
Bis ich durch ihren Ruf erwacht.
Da Du erbarmend mich erkohren,
Verlaß auch meine Seele nicht
Und wende Du, o Hochgeweihte!
Von mir nicht ab Dein Angesicht.